Die Zukunft. Der Albtraum.

Keine Angst! Es folgt keine weitere Dystopie. Keine Bedrohungsszenarien, die möglicherweise am Horizont auftauchen. Oder höchst wahrscheinlich schon längst unseren Alltag durchziehen. Oder mehr noch, in vielerlei Hinsicht verzerren. Es geht also nicht um die Gegenwart, in der aktuell Angst eine allumfassende Präsenz wahrnimmt. Omnipräsenz als Omnipotenz gewissermaßen, die sich pathologisch als Omniimpotenz manifestiert.

Keine Angst! Es wird auch keine Zukunft schöngefärbt, noch die unleugbar düstere Realität weißgewaschen. Es ist zu spät, wir können uns nicht mehr glaubhaft beschwichtigen. Kein noch so intensives american-dream-autosuggestions-Training (‘ich bin der Mann – ich schaffe das’) wird uns über unser miserables Bauchgefühl hinwegtäuschen, geschweige denn einen Weg weisen. Ob wir den Teufel an die Wand malen oder nicht, ist obsolet angesichts der Gewissheit, dass die Teufel längst unter uns tanzen, beziehungsweise ihre allgegenwärtigen Fratzen das Lied vorgeben, nach dem wir zu tanzen haben.

Keine Angst! Es geht um die Zukunft. Den Albtraum. Genauer gesagt, geht es um den Modus seines Erscheinens. Aus dem Nichts, im Schlaf, ereilt er uns. Unterbricht den Zyklus, jähes Ende der Erholung. Während wir also eigentlich regenerieren sollten, um anschließend wieder als konsumierende Arbeiterin oder als arbeitender Konsument zu funktionieren, PANIK! Sicher, aus dem Nichts entstammen Albträume keineswegs: keine absurden Wahnvorstellungen sondern konkrete Manifestationen mehr oder weniger unterschwelliger Ängste. Warnsignal also, das uns sagen mag: Stell Dich! Der Albtraum, diese Horrorvision, fördert unsere Ängste nicht umsonst nächtens zu Tage. Er fordert uns heraus, dem Elend, den Elenden, die uns fesseln, ein Ende zu bereiten. Sich den bösen Geistern der Vergangenheit wie den allgegenwärtigen Teufeln tief in die Augen blickend vergegenwärtigen: Moment mal – ich lasse mich nicht so dermaßen von Euch regieren!

Keine Angst! Es handelt sich auch nicht um eine weitere psychologisierende Ratgeberei, wie wir individuell einen besseren Umgang mit unseren Ängsten finden oder erreichen könnten. Wir können weder unsere Ängste umgehen, und noch viel weniger die realen Unterdrückungsverhältnisse, aus denen sie erwachsen. Wie gesagt, sich stellen! Und die vermutlich einzige Fluchtlinie, die aus dem Desaster unserer Existenz weist, ist die totale Zerstörung. Die Ketten zerschlagen, der Bruch.

Keine Angst! Es ist nicht mehr weit. Weil die Gegenwart in jedem Moment schon der Vergangenheit angehört, bleibt uns im Grunde nichts als die Zukunft. Wie können wir also, nachdem wir uns gestellt haben, nicht verhaftet bleiben in den Ketten der Vergangenheit? Wie aufrechten Ganges die Stellung verlieren, das Neue entdecken, einbrechen in das Unvorhersehbare? Kein Freigang, keine Bewährung, keine Amnestie, die immer nur von einer außerhalb bestehenden Macht gewährt werden können, weisen in die Zukunft. Ausbrechen, der Bruch alleine eröffnet die Möglichkeit das Unmögliche ins Leben zu rufen. Das Neue, weil die Zukunft kann nur das Neue, das Undenkbare repräsentieren. Andernfalls ist sie nichts als fortgeführte Verknechtung, anhalten des Gewesenen, des Seienden.

Keine Angst! Das Bestehende ist die Prüfung, die niemals zu bestehen ist. Weil sie sich immer in den Mustern und Zwängen des Alten präsentiert und beständig auf diese zurückweist. Durchfallen! Das Bestehende beständig untergraben ist die Lösung. Loslösen, sich den Fesseln entledigen, indem wir sie vergessen. Genau wie die Frage, die wir nicht mehr zu beantworten suchen. Wir schreiben schlicht ein ganz neues Gedicht.

Keine Angst! Die Zukunft wird über uns einbrechen wie der Albtraum in der Nacht. Aber das Neue, das Ungewisse, kann gewiss kaum schlimmer sein, als der herrschende Dystopismus. Sich den Ängsten zu stellen, meint nicht, sie im Einzelnen zu bearbeiten, zu dekonstruieren, sie psychoanalytisch umzudeuten. Es heißt, sie vergessen machen, die Beherrschung verlieren, sie und sich verabschieden, dem Fremden zuwendend. Sich aus Strukturen zu befreien, erfordert den Mut sich der Haltlosigkeit zu ergeben, freischwimmen gewissermaßen. Sich fallen lassen, neugierig sein, was leicht fallen sollte, da wir des Alten so ungeheuer überdrüssig sind. Wenn wir aufhören, die Geschichte als linear verlaufende Zeit zu begreifen, uns nicht mehr im Verlauf scheinbarer Ereignisse verlaufen, sondern die Zeit des gekrümmten Raumes schlagen lassen, wird der Fluch sich in Freude verkehren.

Keine Angst! Zeit nicht linear zu begreifen ist schwierig. Der gekrümmte Raum liegt am Rande unserer Vorstellungskraft. Mir fehlen die Worte, Begriffe, wie eine (anzu)passende Syntax, den sprachlichen Schatten der Ketten zu entrinnen. Oder warum von einer Zukunft schreiben, die offenkundig auf vergangene Gegenwärtigkeiten folgen sollte? Gleiches gilt für ein Neues, das undenkbar bleiben muss. Aber wenn die Zukunft nicht das Neue ist, sondern die ewige Wiederkunft des Gleichen, ist sie dasselbe wie die Vergangenheit. Dies, so wird uns erzählt, sei unsere Bestimmung. Selbstbestimmung hingegen wäre, noch fernab jeglicher Souveränität über das ‘eigene Schicksal’, die Erlösung im Vergessen zu entdecken. Die Wiederkunft nicht einlösen durch die Eliminierung der Vergangenheit, Auslöschung, Ablösung vom ewig Gleichen. Das Schicksal zu Fall bringen. Dem Schicksal Zufall beibringen. Den Zufall zum Schicksal erheben. Erhobenen Hauptes den Albtraum hinter sich zufallen lassen. Praktisch scheint das eine abstrakte Sache zu werden.

Keine Angst! Aus Ängsten geborene Selbstschutzmechanismen bewahren uns noch allzuhäufig vor dem (An)erkennen des real existierenden Albtraums. B-Wahrheiten also, sich als Konsumversprechen einer Welt in ewig schimmernder Prosperität äußernde Illusionarien. Prophezeiungen, die sich selbst mit (leeren) Versprechungen erfüllen und doch niemals bewahrheiten. Krankhafte Szenarien, die das Fieber des Kaufrausches befeuern, welches A-Wahrheiten auslöscht. Eine Awahrheit hingegen, die Abwesenheit einer Wahrheit also, [noch viel richtiger, wie ebenfalls un(miss)verständlicher, im Pluralen – Awahrheiten, weil technisch wie historisch DIE Wahrheit ebensowenig existieren kann wie DIE Awahrheit… sei’s drum!], die Awahrheit bezeichnet folglich die Nicht(an)erkennung dessen, was wir unaufhörlich sehen, hören, fühlen: Krieg beispielsweise, Hunger, Wetterextremismus, die sich stetig beschleunigende Präkarisierung unserer eigenen Existenz. Die Awahrheit ist demnach das Produkt (und die Negation des Produkts) der Kunst des Awahrnehmens. Ich awahrnehme den Penner am Eingang, indem ich das vermeintlich Neue in einem 3-bis-120€-retro-used-look-T-Shirt erkenne und mich mit dem Akt des Konsums [gegenwärtig die einzig verbliebene ‘Echtzeit’] dieser ‘Neuheit’ zur Awahrheit diverser Ausbeutungsverhältnisse bekenne. Dies ist eine der möglichen Strategien der Awahrnehmung und noch lange kein (Mono)Kausalzusammenhang. Eine andere ist, diesen vermaledeiten Ausflug hier und jetzt zu landen und zur Zukunft zurückzukehren.

Keine Angst! Es ist nicht alles so (ver)kompliziert, wie hier geschrieben. Wer einen roten Faden sucht, findet sich schon in den Fallstricken des Hängenbleibens wieder, schon wieder. Wer gedankliche Stolpersteine zur Flucht aus dem Kauderwelsch nutzen konnte, erfüllt die Wünsche, welche der Text in die ihn Lesenden einzugraben suchte. Im freien Fall den Fallen entrinnen, entfliehen. Die Zukunft. Der Albtraum. Das Neue. Erinnern wir uns an das Vergessen…

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